Neue Stammzellen für die Medizin

Das Care-Forschungsinstitut wird in München neue Ansätze in der regenerativen Medizin und der Erforschung medizinischer Wirkstoffe verfolgen

15. Juni 2016

Aus Hautzellen Organe entstehen lassen, mit neuartigen Toxizitätstests Tierversuche ersetzen und menschliche Gewebe zur Selbstheilung anregen – all dies könnte die Stammzellforschung möglich machen. Im „Center for Advanced Regenerative Engineering“ (Care) wollen Wissenschaftler Technologien und Therapien entwickeln, um Stammzellen in der Medizin einzusetzen. Mit fünfzehn Millionen Euro unterstützt die bayerische Landesregierung das Zentrum, das ab Januar 2017 in München entstehen soll. Im April stellten die Forscher das Care-Institut erstmals Vertretern der Politik, Wirtschaft und Wissenschaft vor.

„Refine, reprogram, regenerate“ lautet der Auftrag des Instituts, das der Max-Planck-Wissenschaftler Hans Schöler ins Leben gerufen hat. Hier sollen Wissenschaftler die Herstellung von iPS-Zellen, induzierten pluripotenten Stammzellen, optimieren und daraus medizinische Anwendungen entwickeln.

Aus iPS-Zellen, die sich dank ihrer Pluripotenz noch in viele Zelltypen entwickeln können, lassen sich menschliche Gewebe und Organe züchten. Diese könnten in der Medizin vielfältige Anwendung finden. Man könnte sie etwa Patienten einsetzen, um krankes Gewebe oder geschädigte Organe zu ersetzen. Die Erkenntnisse, die die Forscher des CARE-Instituts aus der Arbeit mit iPS-Zellen ziehen, könnten darüber hinaus zu der Entwicklung völlig neuer Therapieansätze in der regenerativen Medizin führen: Mit ihrer Hilfe wollen die Wissenschaftler Strategien entwickeln, um krankes Gewebe im Körper des Patienten zur Selbstheilung anzuregen. Sie hoffen, damit Erkrankungen des Stoffwechsels, des Gehirns und des Herzens behandeln zu können. Wenn beispielsweise Herzmuskelzellen bei einem Herzinfarkt absterben, oder Gehirnzellen bei Krankheiten wie Parkinson degenerieren, kann der Körper keine neuen Zellen nachbilden – das Gewebe bleibt beschädigt. Mithilfe der iPS-Forschung könnten Ärzte es aber vielleicht doch zur Regeneration anregen.

Menschliches Gewebe für die Entwicklung von Wirkstoffen

Die Care-Forscher möchten die Stammzellen aber vor allem zur Erzeugung von bisher kaum oder nicht verfügbaren Zelltypen nutzen, an denen sie Kandidaten für pharmazeutische Wirkstoffe im Labor identifizieren, testen und verbessern können. Experimente mit menschlichen Geweben können die Wirkung und Nebenwirkung von Substanzen nämlich häufig besser vorhersagen als Tierversuche, deren Zahl sich so reduzieren ließe. „Es würde viel Zeit und Geld sparen und gleichzeitig neue Wege eröffnen, wenn die Entdeckung neuer Wirkstoffe treffsicherer gelänge und sich Wirkstoffe mit unerwünschten toxikologischen Nebenwirkungen frühzeitiger ausschließen ließen. Hierfür sind die aus iPS-Zellen generierten Zellen ideale Testkandidaten“, so Hans Schöler, der als Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster an Stammzellen und deren Gewinnung forscht.

Für die Anwendung in der Medizin konnten die Wissenschaftler diese neuen Stammzellen überhaupt erst in Position bringen, da sie zwei große Hürden auf dem Weg dorthin bereits genommen haben. Erstens können sie Stammzellen aus Körperzellen herstellen und sind daher nicht auf die ethisch umstrittene Entnahme von embryonalen Stammzellen angewiesen. Zweitens erlaubt das iPS-Verfahren die Herstellung von großen Mengen an Stammzellen, wie sie für die Medizin notwendig sind. Denn als Ausgangsmaterial zur Herstellung von iPS-Zellen dienen gewöhnliche Haut-, Haar- oder Blutzellen, die in großen Mengen verfügbar und zudem leicht zu entnehmen sind. Mittels spezifischer Gene oder biologischer Botenstoffe programmieren die Wissenschaftler diese im Reagenzglas zu Stammzellen um. Unter genau definierten Kulturbedingungen können die induzierten pluripotenten Stammzellen dann zu unterschiedlichsten Zell- und Gewebetypen heranwachsen – ein Schritt, der besondere Fertigkeiten verlangt. Obwohl die Methode seit 2006 stetig verbessert wird, gibt es bislang kaum medizinische Anwendungen. Dies soll sich mit dem Care-Institut ändern.

Zusammenarbeit mit dem Dortmunder Lead Discovery Center

Um neue regenerative Therapien in die Anwendung am Patienten und Wirkstofftests auf den Markt zu bringen, wird das das Forschungsinstitut mit Partnern, wie etwa dem Dortmunder Lead Discovery Center (LDC), zusammenarbeiten. Das Translationsunternehmen, das 2008 aus dem Technologie-Transfer-Unternehmen Max-Planck-Innovation hervorging, hat bereits mehrere Jahre Erfahrung in der Wirkstoffforschung und -entwicklung. So bildet es genau wie das Care-Institut, eine Brücke zwischen Grundlagenforschung und medizinischer Anwendung. Am LDC werden bislang vor allem kleine Moleküle auf potentielle Anwendungen in der Medizin getestet. Als Partner des Care-Instituts wird das LDC künftig auch die Kommerzialisierung sogenannter Biologicals vorantreiben, biologischer Arzneimittel also, die aus der Stammzellforschung hervorgehen. Das LDC und das Care-Institut möchten nun insbesondere mit kleinen und mittelständischen Unternehmen aus dem Münchener Raum verstärkt zusammenarbeiten.

So soll Care-Institut zu einem weltweit führenden Zentrum für die Forschung im Bereich der regenerativen Medizin und zu einer zentralen Anlaufstelle für Wissenschaftler, Entwickler, Unternehmen und Mediziner wird. Von den dortigen Entwicklungen neuer Wirkstoffe und Therapien werden nicht nur Patienten weltweitprofitieren, sondern auch der Wirtschaftsstandort Deutschland.

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