Zuschauen beim Erwachen des Genoms
MTZ®-MPI-Award 2017 an Clemens Hug
Jede einzelne Zelle unseres Körpers enthält DNA-Moleküle, die aus über 3 Milliarden einzelner Buchstaben bestehen. Zusammen bilden sie unser Erbgut, auf dem alle Informationen, die für unsere Entwicklung notwendig sind, gespeichert sind. Wenn man die DNA-Moleküle einer einzelnen Zelle aneinander legen würde, bekäme man einen Faden von ungefähr 2 Metern.
„Erstaunlicherweise sind Zellen jedoch in der Lage, das genetische Material in ihren Zellkernen auf eine Größe von nur einigen Mikrometern zu falten und verdichten“, sagt Clemens Hug, Doktorand in der Forschungsgruppe von Dr. Juan Vaquerizas am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster. Die genaue Art der Faltung und räumliche Positionierung der DNA ist enorm wichtig, auch um die Kommunikation zwischen weit entfernten Stellen des Genoms zu gewährleisten. Und trotz dieser Verdichtung muss die Zelle noch in der Lage sein, Botschafter-RNA für bestimmte Proteine zu produzieren oder das genetische Material vor der Zellteilung zu kopieren. Wenn Mutation auftreten, welche die räumliche Organisation des Genoms durcheinander bringen, können Krankheiten wie Krebs entstehen.
Fortschritte in genomischen Techniken ermöglichen es, diese 3D-Organisation des Genoms zu untersuchen. Bisher war jedoch unklar, wann in der Embryonalentwicklung das Genom seine spezifische 3D-Organisation erlangt. Nun hat Clemens Hug, mithilfe genomischer Techniken in jungen Embryos von Fruchtfliegen zeigen können, wie die 3D-Organisation des Genoms zum ersten Mal entsteht. Er veröffentlichte seine Daten in der renommierten Fachzeitschrift Cell.
Eine der grundlegenden 3D-Strukturen sind sogenannte TADs (topologisch assoziierte Domänen): kurze Abschnitte des Genoms, die zu kompakten Knäueln gefaltet sind.
Bislang war unklar wie und wann diese kompakten TAD-Strukturen entstehen. Clemens Hug konnte zeigen, dass etwa 1,5 Stunden nach der Befruchtung an bestimmten Stellen des Genoms Grenzen entstehen, die Barrieren bilden über die sich keine Kontakte zwischen DNA-Abschnitten mehr ausbilden können. Mit jeder weiteren Zellteilung entstehen zusätzliche Grenzen. Etwa 2,5 Stunden nach der Befruchtung sind diese Grenzregionen dann ausreichend nahe beieinander, so dass sich zwischen benachbarten Grenzen ein kompakte knäuelartige Struktur bildet, die TADs.
Zu diesem Zeitpunkt übernimmt der Embryo dann zum ersten Mal die Kontrolle über seine eigene Entwicklung – der Einfluss der mütterlichen Genprodukte nimmt ab. Schrittweise werden die eigenen Gene des Embryos abgelesen und es findet zum ersten Mal Transkription statt. „Wir haben geschaut, welche Gene in diesem Moment abgelesen werden und welche Sequenzen in den TAD-Grenzregionen vertreten sind. Dabei entdeckten wir, dass die Grenzen fast immer von Genen gebildet werden, die ständig in allen Zellen abgelesen werden,“ sagt Hug. Diese Beobachtung legt die Vermutung nahe, dass Gentranskription für das Entstehen der Grenzregionen verantwortlich ist. Überraschenderweise belegte jedoch ein Experiment, in dem die Transkription stillgelegt wurde, dass Transkription an der Entstehung der 3D-Struktur nicht beteiligt ist. „Stattdessen liegt die Ursache für die Etablierung der Grenzen vermutlich bei den vielen DNA-bindende Proteinen die vor dem Start der Transkription an die Grenzregionen binden“, sagt Hug.
„Unsere Entdeckungen helfen zu verstehen, wie das Genom es schafft, Gene genau zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Zelle zu aktivieren“, sagt Hug. „Die 3D-Struktur des Genoms spielt dabei eine wichtige Rolle, denn nur durch die richtige Anordnung der DNA im Zellkern können regulatorische DNA-Sequenzen und Gene zu ihrer Aktivierung zusammenfinden“, führt er fort. Eine falsche Struktur, zum Beispiel durch Verlust einer Grenzregion oder Neubildung einer TAD am falschen Ort, kann zu schweren embryonalen Fehlbildungen und zur Entstehung von Krebs führen. Deshalb ist ein genaues Verständnis der Mechanismen wie diese 3D-Strukturen entstehen sehr hilfreich.
Zur Person
Clemens Hug (29) machte seinen Bachelor of Science in ‚Biological Sciences’ an der Universität Konstanz. Für seinen Master of Science im Fach ‚Molecular and Cellular Life Sciences’ wechselte er mit einem Utrecht Excellence Scholarship an die Utrecht University in den Niederlanden. In dieser Zeit absolvierte er zwei Forschungsarbeiten: eine an der University Medical Center Utrecht und eine an der Harvard Medical School, Boston (USA). Seine Doktorarbeit startete Clemens Hug in 2013 bei Dr. Juan M. Vaquerizas im Rahmen des International Max Planck Research Schools, zu der nur die besten Kandidaten zugelassen werden. Clemens Hug hat zwei Publikationen auf seinem Namen stehen.