Fingerabdrücke der Krebsheterogenität prognostizieren den Krankheitsverlauf

Forschungsbericht (importiert) 2024 - Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin

Autoren
Wickström, Sara
Abteilungen
Abteilung Zell- und Gewebedynamik
Zusammenfassung
Die Diagnose von Krebserkrankungen stellt eine große medizinische Herausforderung dar, da die derzeitigen Methoden zeitaufwendig, manuell und in ihrer Genauigkeit begrenzt sind. Wir haben einen KI-basierten Bildanalyseansatz entwickelt, um Tumore und umliegendes Gewebe mit Einzelzellauflösung zu analysieren. Mit patientenspezifischen zellulären „Fingerabdrücken“ konnten wir zeigen, dass die Kombination bestimmter Merkmale auf eine schlechtere Prognose und Therapieresistenz hinweist.  Diese Ergebnisse weisen auf neue Ansatzpunkte für eine verbesserte Diagnostik und Therapie hervor.

Krebs ist eine der größten gesundheitlichen Belastungen in westlichen Gesundheitssystemen, da einer von drei Menschen im Laufe seines Lebens mit Krebs diagnostiziert wird. Personalisierte Medizin in Form von Präzisionskrebsdiagnostik, genaueren Prognosen und zielgerichteten Therapien spielt für die Verringerung dieser Belastung eine zunehmend wichtige Rolle.

Ein großes Hindernis bei der derzeitigen Diagnostik ist der manuelle und zeitliche Aufwand. Dazu kommt,  dass sie keine ausreichenden Informationen über den Zustand und die genaue Art des Tumors liefert. Daher sind die daraus resultierenden Schemata zur Krebsgraduierung und -stadienbestimmung bei den meisten Krebsarten zu ungenau für die Prognose des Krankheitsverlaufs und des Ansprechen auf bestimmte Therapien.

Im Zentrum der derzeitigen manuellen Diagnostik steht die mikroskopische Untersuchung angefärbter Gewebeproben zur Analyse von Zellformen und der Struktur des Tumorgewebes. Dabei identifiziert die Pathologin oder der Pathologe in der Regel abnormale Zell- und Zellkernformen, die mit der Aggressivität der Erkrankung korrelieren. Zwar sind die molekularen und zellulären Zusammenhänge nicht vollständig geklärt, doch weiß man, dass die Ursache der Anomalien der Zellkernform in der DNA und ihrer Organisation im Zellkern zu liegen. Die mikroskopischen Analysen sind jedoch nicht nur manuell und zeitlich aufwändig, sondern können auch nicht direkt mit den genetischen und nicht-genetischen Veränderungen in Verbindung gebracht werden, die während der Krebsentwicklung auftreten.

Beispielsweise kommt es bei Krebserkrankungen des Epithelgewebes zu einer Abnahme der typischen epithelialen Eigenschaften und einer Zunahme der mesenchymalen Eigenschaften, nämlich der  Fähigkeit, zu wandern und in andere Gewebe einzudringen– ein Prozess, den man als epithelial-mesenchymale Transition bezeichnet. Auch im umliegenden gesunden Gewebe kommt es zu Veränderungen, die für das Fortschreiten der Krebserkrankung von Bedeutung sind. Bindegewebszellen,  Fibroblasten genannt,  können sich vermehren und in krebsassoziierte Fibroblasten umprogrammiert werden, die das Tumorwachstum unterstützen. Immunzellen wie T-Zellen können Krebszellen angreifen und abtöten, aber bestimmte Tumore können sich vor dem Immunsystem verbergen, was zu einer reduzierten Anzahl an Immunzellen in diesen Tumoren führt.

KI-Bildanalyse enthüllt den Zustand des Tumors auf Einzelzellebene

Unsere Forschungsgruppe hat einen vollautomatisierten, auf künstlicher Intelligenz basierenden Bildanalyseansatz entwickelt, der den Zustand des Tumors sowie die zelluläre Zusammensetzung des umgebenden gesunden Gewebes beschreibt. Die Methode beruht auf der Markierung und Färbung von Patientenbiopsien durch verschiedene Antikörper, die den Zustand des Tumors sowie die zelluläre Zusammensetzung des umgebenden gesunden Gewebes beschreibt und somit eine Analyse des Zustands der Krebszellen auf Einzelzellauflösung liefert. Zusätzlich kombiniert unser Algorithmus diese Beschreibung des Zellzustands sowohl mit der Form jeder einzelnen Zelle als auch mit ihrer Position innerhalb der Tumorprobe. Und schließlich können wir die Gewebearchitektur auch separat analysieren. Diese Bild-basierte Analyse ist hochdurchsatzfähig, sodass wir sie auf Hunderte von Patientenproben anwenden können, um eine statistische Aussagefähigkeit zu gewährleisten. Das ist auch wichtig, um mit diesen umfangreichen Informationen funktionelle Experimente zur Entschlüsselung der Mechanismen durchführen zu können.

Patienten-Fingerabdrücke identifizieren Patientengruppen mit schlechter Prognose und schlechtem Ansprechen auf Standardtherapien

Unsere computergestützten Tools verarbeiten die morphologischen und zellulären Zustände jeder Zelle in der Biopsie zu einem patientenspezifischen „Fingerabdruck“. Mit statistischen Methoden gruppieren wir alle Patienten basierend auf der Ähnlichkeit ihrer Fingerabdrücke. Anschließend untersuchen wir, wie sich diese Patientengruppen hinsichtlich des Krankheitsverlaufes und des Therapieansprechens unterscheiden. Dabei haben wir die überraschende Entdeckung gemacht, dass bei Patienten,  welche die oben beschriebene epithelial-mesenchymale Transition aufweisen -, insbesondere an der Grenze zwischen dem Tumor und dem umgebenden Gewebe - die Zusammensetzung des gesunden Gewebes besonders wichtig ist. Der Krankheitsverlauf bei Patienten ohne epithelialmesenchymale Transition hängt dagegen nicht von der Gewebezusammensetzung ab. Andererseits haben Patienten, die eine epithelialmesenchymale Transition in Kombination mit krebsassoziierten Fibroblasten im umliegenden gesunden Gewebe aufweisen, besonders schlechte Überlebenschancen und sind resistent gegenüber Standardtherapien. Diese Erkenntnis führt zu einem neuen klinischen Konzept: Der Krankheitsverlauf hängt wesentlich von der Kombination des Tumor-Morphologie und der des umgebenden gesunden Gewebes ab.

Signalwechsel zwischen Tumorzellen und umliegenden gesunden Zellen fördert die Umprogrammierung zu aggressiveren Krebszellen

Warum ist die spezifische Kombination von Tumorzellen und den umliegenden Zellen so wichtig? Unsere zellulären und molekularen Analysen zeigen, dass die Antwort in der spezifischen Kombination von Signalrezeptoren und ihren Liganden liegt, die auf den spezifischen Zelltypen exprimiert werden.

Die epithelial-mesenchymale Transformation ist mit der Expression von Amphiregulin assoziiert, einem wichtigen membrangebundenen Signalprotein. Amphiregulin aktiviert den Signalweg des epidermalen Wachstumsfaktorrezeptors und löst eine bidirektionale Signalkaskade zwischen Krebszellen und den umgebenden Fibroblasten aus. Dies bewirkt Genexpressionsveränderungen in einem Netzwerken an Genen, die an der Zellinvasion beteiligt sind – einem kritischen Programm in der Krebsverbreitung und Metastasierung. Weitere in-vitro-Studien mit Patientenzellen bestätigten, dass die Blockade dieses Signalwegs die Tumorzellinvasion verhindert.

Unsere Ergebnisse betonen die entscheidende Rolle des Signalwechsels zwischen Epithelzellen und Fibroblasten bei der Ausbreitung von menschlichen Kopf-Hals-Karzinomen. Diese Mechanismen des Kompartiment-übergreifenden Signalwechsels liefert wichtige Ansätze für ein besseres Verständnis von Krebsheterogenität und der Krankheit. Zudem könnte dieses neue computergstützte Tool für die multiplex Analyse von Gewebe-Biopsien als diagnostisches Instrument für die Therapiewahl bei Kopf-Hals-Krebs und anderen Krebsarten dienen.

 

Literaturhinweise

Punovuori, K.; Bertillot, F.; Miroshnikova, Y.A.; Binner, M. I.; Myllymäki, S.-M.; Follain, G.; Kruse, K.; Routila, J.;  Huusko, T.; Pellinen, T.;  Hagström, J.;  Kedei, N.; Ventelä, S.;  Mäkitie, A.;  Ivaska, J.; Wickström, S. A.
Multiparameter imaging reveals clinically relevant cancer cell – stroma interaction dynamics in head and neck cancer
Cell, Oct. 28, 2024, online ahead of print
Zur Redakteursansicht