„Wunderwaffe“ Oct4 schafft Stammzellen für Therapie von Rückenmarksverletzungen

Erste Veröffentlichung mit Max-Planck-Partnergruppe im „Hans Schöler Stem Cell Research Center“ in Südkorea

1. Dezember 2015

Dass Nervenzellen adäquat ihre Signale weiterleiten, verdanken sie einer Markscheide bestehend aus Myelin, die bestimmte Nervenfasern spiralförmig umwickelt. Im Gehirn wird diese Lipidschicht von sogenannten Oligodendrozyten gebildet. Wie wichtig diese Myelinschicht ist, zeigt sich bei Entmarkungskrankheiten wie z. B. der Multiplen Sklerose. Auch in der Therapieabsicht bei Rückenmarksverletzungen ist eine Remyelinisierung essentiell. Professor Dr. Jeong Beom Kim, Forschungsgruppenleiter der Max-Planck-Partnergruppe am ‚Hans Schöler Stem Cell Research Center’ in Ulsan, Südkorea, hat nun in Zusammenarbeit mit PD Dr. Holm Zaehres aus der Abteilung von Professor Dr. Hans Schöler gezeigt, dass das Protein Oct4 mit einer Kombination aus Nährmedien Hautzellen sehr effizient in Vorläuferzellen von Oligodendrozyten (iOPCs) reprogrammieren kann. Die Forscher haben erstmals solche Zellen in einem Nagetiermodell für Rückenmarksverletzungen getestet – mit Erfolg: die Bewegungseinschränkungen haben sich nach einer Transplantation verbessert (EMBO Journal Ausgabe 23, 02. Dezember 2015). Diese Studie zeigt, dass iOPCs zu einem besseren Verständnis von Entmarkungskrankheiten führen können. Zudem könnte dieser Ansatz in Zukunft für Therapien von Rückenmarksverletzungen und Entmarkungskrankheiten von Bedeutung sein.

Das Protein Oct4 spielt bei der Reprogrammierung von ausgereiften Körperzellen eine wichtige Rolle, da es diese gleichsam in einen Urzustand zurück versetzt. Forscher um Hans Schöler, der 1989 den Transkriptionsfaktor Oct4 entdeckte und charakterisierte, zeigten nämlich in verschiedenen Studien, dass dieses Protein eine Art Kommandant der Reprogrammierung darstellt. Im Jahr 2009 fanden sie heraus, dass Oct4 alleine ausreicht, um die Lebensuhr in Nervenstammzellen von Mäusen und Menschen zurückzudrehen.

Im Jahr 2012 erzielte das Team von Hans Schöler einen wichtigen Erfolg im Hinblick auf mögliche therapeutische Anwendungen: eine Reprogrammierung von Körperzellen muss nicht zwingend über den Urzustand (Pluripotenz) erfolgen. „Pluripotente Stammzellen sind so entwicklungsfähig, dass sie sich auch in Krebszellen verwandeln können – anstatt ein Gewebe zu regenerieren, verursachen sie unter Umständen einen Tumor“, so Schöler. Mit einem ausgeklügelten Mix aus Reprogrammierungsfaktoren erzeugten sie aus Hautzellen „nur“ multipotente Stammzellen, die nur bestimmte, genau definierte Gewebetypen bilden.

Nun hat Jeong Beom Kim, ehemaliger Mitarbeiter bei Hans Schöler und seit 2012 Leiter einer Max-Planck-Partnergruppe, im 2010 errichteten ‚Hans Schöler Stem Cell Research Center’ (HSSCRC) in Ulsan (Südkorea), unter Beteiligung von Holm Zaehres mit seinem Team die „Wunderwaffe“ Oct4 mit einer Kombination aus verschiedenen Nährmedien eingesetzt, um aus Hautzellen der Maus Vorläuferzellen von Oligodendrozyten zu erzeugen – ohne Umweg über pluripotente Stammzellen.

„Von diesen induzierten Oligodendrozyten-Vorläuferzellen, kurz iOPCs, können wir sehr homogene Populationen erhalten, die sich in der Kulturschale in ihren Eigenschaften lange nicht verändern“, sagt Jeong Beom Kim. Diese Vorläuferzellen lassen sich in zwei Zelltypen ausreifen, wie sie das auch im Gehirn tun. Ein Zelltyp ist eben die myelinproduzierende Oligodendrozyte. „Unsere iOPCs sehen genau so aus wie die natürlichen Vorläuferzellen im Gehirn und bilden sowohl in der Kulturschale als auch im Gehirn Oligodendrozyten“, sagt Kim.

Dass die neu gebildeten Oligodendrozyten im Nervensystem tatsächlich auch ihre natürliche Funktion ausüben, zeigten die Forscher in einem Nagetiermodell für Rückenmarksverletzungen, ähnlich wie sie bei Stürzen oder Verkehrsunfällen passieren: „Nach einer Transplantation von iOPCs siedelten sie sich an der Stelle der Rückenmarksprellung an“, sagt Kim. „Nach zwei Wochen waren die Tiere beweglicher als jene, die keine iOPCs injiziert bekommen haben“, erklärt Kim und ergänzt: „Ganz wichtig ist, dass sich nach der Injektion mit iOPCs keine Tumore gebildet haben“.

„Diese Studie stellt eine einfache Strategie dar, mit der sichere und funktionsfähige Oligodendrozyten-Vorläuferzellen erzeugt werden können. Mit diesen Ergebnissen können wir Myelinisierungsprozesse und deren Störungen gezielter untersuchen. Dies würde Entmarkungskrankheiten wie der Multiplen Sklerose zugute kommen,“ sagt Holm Zaehres.

Hans Schöler, Namensgeber des Forschungszentrums in Ulsan, Südkorea, freut sich über die Studie: „Es ist die erste Publikation, die im ‚Hans Schöler Stem Cell Research Center’ entstanden ist. Ich freue mich auch für Jeong Beom Kim, dass die harte Arbeit nun Früchte trägt.“

Das ‚Hans Schöler Stem Cell Research Center’ in Ulsan, Südkorea, wurde am 13. August 2010 eröffnet und widmet sich den Möglichkeiten der iPS-Technologie hinsichtlich Zellersatztherapien.

Die Max-Planck-Partnergruppe am ‚Hans Schöler Stem Cell Research Center’ wurde 2012 vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin initiiert und wird geleitet von Professor Dr. Jeong Beom Kim, der 2005 bis 2009 bei Hans Schöler promovierte. Sie wurde nach drei Jahren positiv evaluiert und läuft noch bis Ende 2016. Die Partnergruppe intensiviert die bestehende Zusammenarbeit zwischen den beiden Instituten.

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