Projektgruppe „White paper – Tierversuche in der Max-Planck-Gesellschaft“

Die Projektgruppe „White paper – Tierversuche in der Max-Planck-Gesellschaft“ entwickelt auf der Basis von iPS-Zellen Hirn-Organoide als Alternative zu Tierversuchen. Die iPS-Zelltechnologie liefert erstmals die Möglichkeit, innovative in vitro-Modelle für neurodegenerative Erkrankungen im humanen System zu etablieren, die nicht nur das große Potential haben, signifikant zur Reduzierung der Tierversuchszahlen in den Neurowissenschaften beizutragen, sondern auch die Qualität der Wissenschaft nachhaltig zu befördern.

Tierversuche sind seit langem ein wertvolles Werkzeug, um die Mechanismen menschlicher Krankheiten aufzuklären. Allerdings hat sich gezeigt, dass neurologische Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson extrem schwer in Tieren zu modellieren sind. Gründe dafür sind, dass das menschliche Gehirn komplexer ist und außerdem, dass diese Krankheiten bei Mäusen häufig nicht natürlich vorkommen.

Als Alternativen zu Tierversuchen werden häufig einschichtig wachsende Zellen in 2D-Zellkulturen als in vitro Modell für patho-/physiologische Fragestellungen verwendet. Die einfache Handhabung, die hohe Wachstumsrate und die morphologische und metabolische Homogenität dieser Zellen machen sie zwar als Modellorgansimen attraktiv. Allerdings weisen diese Zellen gegenüber nativen Gewebezellen zahlreiche Veränderungen auf, die daher nicht immer zu verlässlichen Aussagen zur physiologischen Relevanz im nativen Gewebe führen.

Organoide überbrücken die Lücke zwischen klassischen 2D-Zellkulturen und in vivo Mausmodellen, weil sie physiologisch relevanter sind als 2D-Kulturen und bei weitem zugänglicher sind für Untersuchungen der zellulären Signalwege. Die Verwendung von induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) sichert die nahezu unbegrenzte Verfügbarkeit humanen Ausgangsmaterials für die Etablierung von Organoiden.

Um Krankheiten in der Kulturschale möglichst gut abzubilden, setzen Wissenschaftler also schon seit einigen Jahren auf drei-, statt zweidimensionale Kultursysteme, weil 3D-Systeme der zellulären Vielfalt und deren komplexer Struktur und Interaktionen in Organen viel näherkommen. Organoide sind eine Art 3D-Kultursystem. Sie wachsen und reifen auf eine selbst-organisierende Weise aus iPS-Zellen oder gewebespezifischen Vorläuferzellen zu einem Gewebe-Aggregat, wie es auch im menschlichen Körper passieren würde. Dadurch, dass sich die Zellen in Organoiden selbst organisieren, sind Organoide komplexer, ahmen die charakteristischen physiologischen Eigenschaften des Gewebes besser nach und bieten daher verschiedene funktionelle Vorteile gegenüber traditionellen Modellen.

Durch die Kombination der Leistungsfähigkeit der iPS-Reprogrammierungstechnologie mit der aufstrebenden 3D-Zellkulturtechnologie sind die Forscher in der Lage, patientenspezifische Gewebe zu generieren, die es ihnen nicht nur erlauben, die Ursache und Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen im nativen menschlichen Gewebe (ohne ethische Probleme) zu untersuchen, sondern darüber hinaus die Tür für eine personalisierte Medizin zu öffnen.
Organoide haben – auch wenn sie Tierversuche nicht komplett ersetzen können – ein großes Potential nicht nur in der biologisch/medizinischen Grundlagenforschung. Sie werden auch dazu beitragen, Tierversuche in den Bereichen Arzneimittel-Wirksamkeitsprüfung, Arzneimittel-Sicherheitsprüfung und in toxikologischen Prüfungen zu vermindern.

Vermindern, Verbessern, Vermeiden – Verantwortung

Die Organoid-Forschung steht daher im Einklang mit der Grundsatzerklärung der Max-Planck-Gesellschaft. Darin verpflichten sich die Wissenschaftler in der Max-Planck-Gesellschaft dazu, die Anzahl der Tierversuche wie auch die Belastung der Tiere in den einzelnen Versuchen so gering wie möglich zu halten. Bei der Planung und Durchführung der Versuche wenden sie das so genannte 3R-Prinzip an. 3R steht für „reduce, refine, replace“ – im Deutschen könnte man sinngemäß sagen „vermindern, verbessern, vermeiden“: Die Zahl der Tiere pro Versuch wird auf das unbedingt erforderliche Minimum reduziert (reduction); die Durchführung der Versuche und die Haltung der Tiere werden so optimiert, dass die Belastung der Tiere so gering wie möglich ist (refinement), Tierversuche werden durch Alternativmethoden (zum Beispiel Zellkulturen, Computermodelle, bildgebende Verfahren) ersetzt, wann immer dies möglich ist (replacement).

Darüber hinaus verpflichten sich die Forscher der Max-Planck-Gesellschaft in ihrer Grundsatzerklärung von 2016 zu einem "R" für „Responsibility“ oder Verantwortung (4R-Prinzip). Sie wollen ihr Wissen in den Lebens- und Geisteswissenschaften dafür einsetzen, den Tierschutz in ihren Instituten zu fördern.

 

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